Zur Geschichte des Skigebiets von Val d’Isère und Tignes

Anlässlich eines Urlaubs in Val d’Isère habe ich mich vor einiger Zeit mit der Entwicklungsgeschichte des Skigebiets „Espace Killy“ von Val d’Isère und Tignes beschäftigt. Für den entsprechenden Bericht entstand folgender Text:

Funde belegen, dass das heutige Val d’Isère bereits den Römern als „Vallis Tinearum“ bekannt war. Die ersten schriftliche Belege über die Existenz des Ortes stammen aus dem ausgehenden Mittelalter. Die Bürger aus „Laval de Tignes“, wie der Ort damals hieß, klagten in Bittschriften an die Obrigkeit über Hungersnöte als Folge außergewöhnlich langer und schneereicher Winter. Bis zum 16. Jahrhundert bildete der Val d’Isère eine Gemeinde mit dem talabwärts gelegenen Dörfchen Tignes, bevor man erst die dörfliche und einige Jahrzehnte später nach langen Bemühungen auch die kirchliche Unabhängigkeit erlangte. Erst Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte aufgrund von ständigen Verwechslungen mit Tignes selbst die Umbenennung in Val d’Isère.

Bis zum Einsetzen des Tourismus war der Ort geprägt von einer hauptsächlich auf Viehzucht basierenden Bergbauernwirtschaft, die in erster Linie der Eigenversorgung diente. Trotz aller Anstrengungen in der Landwirtschaft waren die Erträge jedoch so gering, dass die Bevölkerung im Winter nur mit Mühe überleben konnte. So kam es zunächst zu saisonalen Auswanderungen im Winterhalbjahr, bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Einwohner endgültig abzuwandern begannen. Die Bevölkerung schrumpfte innerhalb von 100 Jahren von 655 Einwohnern im Jahr 1822 auf 177 im Jahr 1926.

Während das benachbarte Tal der Maurienne mit Eröffnung der Passstraße über den Mont Cenis 1811 und dem ersten transalpinen Eisenbahntunnel am Fréjus 1871 zu einer wichtigen Verkehrsachse ausgebaut wurde, lag Val d’Isère noch im beginnenden 20. Jahrhundert abgelegen im Talschluss der Hochtarentaise. Dennoch gab es schon im frühen 19. Jahrhundert erste Herbergen für Reisende, Pilger vornehmlich, die den Ort alljährlich wegen der dort abgehaltenen religiösen Feste besuchten. Der Sommertourismus, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam einzusetzen begann, berührte Val d’Isère dagegen nur am Rande.
Als dann 1906 Louis Bonnevie aus La Daille französischer Skimeister wurde, fand Val d’Isère erstmals Erwähnung im Zusammenhang mit dem alpinen Skisport. Zwischen 1907 und 1914 kamen im Winter alljährlich Militärpatrouillen in den Ort, die mit dazu beigetragen haben sollen, daß die Verwendung von Skiern zur Fortbewegung im Winter eine größere Verbreitung fand.

Zu Beginn der 1930er Jahre ging es dann Schlag auf Schlag. Schon 1929 wurde damit begonnen, den Col de l’Iséran als Teil der „Route des Grandes Alpes“ zur Fahrstraße auszubauen. Im Winter 1931/32, der den damals etablierten Tourismusorten Chamonix und Mégève nur wenig Schnee brachte, nutzten die örtlichen Hoteliers die Gelegenheit und öffneten erstmals auch im Winter. Auf die Folgesaison wurde bereits eine Filiale der École du Ski française gegründet, die in den nächsten Jahren maßgeblich von einigen Österreichern mit aufgebaut wurde, die die Armut in ihrem Heimatland in die Fremde getrieben hatte. 1935/36 folgte der erste Skilift, eine Einrichtung die es zu diesem Zeitpunkt noch in acht weiteren französischen Skistationen gab, und zur offiziellen Eröffnung der Straße über den Col de l’Iséran am 9. und 10. Juli 1937 fanden auf der Passhöhe die ersten französischen Sommerskirennen statt. Noch im gleichen Jahr wurde der Ort ans Stromnetz angeschlossen.
Mit dem Bau der Passstraße wurde gleichzeitig die Straßenanbindung an Bourg-St.-Maurice verbessert, das wiederum schon seit 1913 Endpunkt der Tarentaisebahn war und ab Beginn der 1930er-Jahre in durchgehenden Zügen ab Paris erreicht werden konnte. Spätestens ab 1935/36 gab es von dort auch im Winter eine Busverbindung bis nach Val d’Isère.

Noch vor Kriegsbeginn erfolgte 1938 die Gründung der privaten Bergbahngesellschaft S.T.V.I., es folgte ein zweiter Skilift (1939) und schließlich ein weiterer Meilenstein: Die Eröffnung der Seilbahn auf die Solaise am 23.12.1942. Die Bauarbeiten hatten bereits im Mai 1939 begonnen, mussten aber schon im September aufgrund der allgemeinen Mobilmachung unterbrochen werden. Da das komplette Baumaterial bereits vor Ort zusammengebracht war (die Seile wurden in einer Nacht- und Nebelaktion in letzter Minute vor den Deutschen in Sicherheit und auf Schleichwegen nach Val d’Isère gebracht), konnte im Juli 1941 mit dem Bau fortgefahren werden. Parallel zur Erschließung mit Seilbahnen wuchs auch die Bettenkapazität des Ortes, so dass 1948 mit dem Bau einer zweiten Seilbahn begonnen wurde. Diese Pendelbahn zur Bellevarde konnte schließlich 1951 eröffnet werden, und wurde schon bald durch weitere Schlepplifte ergänzt.

1963 begann die Ära des Sommerskilaufs am Col de l’Iséran mit der Eröffnung der ersten drei Schlepplifte am Glacier du Grand Pissaillas, auf einer Höhe zwischen 2700 und 3250 m. Zwei weitere folgten 1964, 1968 waren es schon acht und zur Blütezeit des Sommerskilaufs im Jahr 1973 waren neun Schlepplifte und zwei Sesselbahnen in Betrieb. In der Regel startete die Sommersaison zwischen dem 15. und 20. Juni und dauerte bis ca. 20. August. Schon damals konnte der Gletscher im September so weit ausapern, dass überhaupt kein Skibetrieb mehr möglich war. Dennoch lohnte sich die Erschließung zunächst, die Nächtigungszahlen im Sommer wurden deutlich gesteigert, und auch die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Sommergäste wuchs auf fast das doppelte.

Für das Winterskigebiet äußerst bedeutend war dann der Bau der Télécabine de la Daille im Jahre 1968, musste doch bis zu diesem Zeitpunkt die Mehrzahl der Abfahrer vom Bellevarde-Gipfel mit Bussen von La Daille zurück nach Val d’Isère gebracht werden. Erste Planungen zum Bau der Bahn gab es bereits zu Beginn der 1960er-Jahre, nachdem sich die S.T.V.I. jedoch jahrelang beharrlich gegen eine Umsetzung wehrte, wurde die Anlage unter Regie der Gemeinde gebaut und erst einige Jahre später von der Liftgesellschaft übernommen.

Der letzte große Ausbau des Skigebiets von Val d’Isère erfolgte mit der Erschließung des Vallon de l’Iséran. Auch hier gabe es die ersten Pläne bereits zu Beginn der 1960er-Jahre, als in Le Fornet 500 bis 1000 Betten entstehen sollten. Damit einher gehend bestand der Plan, eine Seilbahn auf das 3241 m hohe Signal de l’Iséran zu bauen und dessen Nordseite mit Liften auszustatten. Doch dazu kam es nicht. Statt dessen plante die S.T.V.I. ab 1970 eine Seilbahnverbindung zu den Sommerskiliften ab Le Fornet mit Sessellift-Anbindung über die Crête des Leissières an die Lifte auf der Solaise. 1972 konnte der Bau beginnen, und es entstand eine moderne Pendelbahn aus dem Hause Von Roll als Zubringer von Le Fornet ins Iséran-Hochtal, samt anschließender Schlepplift-Anbindung zu den Sommerskiliften. Auch die Sesselbahn wurde realisiert, so dass mit Beginn des Jahres 1973 das Skigebiet seine volle, auch heute noch bestehende Ausdehnung im Wesentlichen erreicht hatte. Ab diesem Zeitpunkt konnten die Lifte am Col de l’Iséran auch zur Saisonverlängerung im Frühjahr eingesetzt werden, obwohl es aufgrund der ergiebigen Schneefälle oft nicht möglich war, die Lifte in der Wintersaison betriebsbereit zu halten.

In den Folgejahren wurde das Skigebiet Zug um Zug modernisiert und den sich weiter entwickelnden Anforderungen des modernen Pistenskilaufs angepasst. Fix geklemmte Sessellifte übernahmen in den 80er-Jahren die Funktion der Schlepplifte als Haupt-Sportbahnen. Interessanterweise setzte die S.T.V.I. hierbei als einer der wenigen europäischen Skigebietsbetreiber häufig auf Fabrikate des amerikanischen Herstellers YAN, die von der hauseigenen Baufirma Montaval geplant und aufgestellt wurden. 1983, zehn Jahre nach der Ersterschließung, erhielt das Vallon de l’Iséran doch noch die ursprünglich geplante, aber aus Kostengründen verworfene Télécabine (Agudio), und ab 1985 bohrte der deutsche Baukonzern Hochtief nach Plänen von Denis Creissels einen Tunnel durch das Bellevarde-Massiv, um die Anbindung von La Daille ans Skigebiet zu verbessern. Am 5.12.1987 erfolgt die Eröffnung des „Funival“, das mit seinen beiden Zuggarnituren pro Fahrt 220 (heute 272) Personen fast 900 Höhenmeter bergwärts zu befördern vermochte. Zwei Jahre später nahm die erste kuppelbare Sesselbahn in Val d’Isère den Betrieb auf.

Mit der Wahl eines neuen Gemeinderats 1983 begann in Val d’Isère zudem ein Umdenken bezüglich des Baustils. Während die gut verdienenden, alteingesessenen Familien keinen Anlass zur Veränderung sahen, wollten vor allem zugereiste Investoren die dominierenden, von Rationalität geprägten Appartment-Hochhäuser der 1960er- und 1970er-Jahre verschwinden lassen, und das Ambiente des Ortes nach österreichischem Vorbild umgestalten. Neue Vorschriften schrieben die Verwendung von Materialien vor, die dem alten Baustil der Region entsprachen. Als Zugeständnis für die teurere Bauweise durften die neuen Gebäude jedoch um 20% größer ausfallen als die bisherigen. Die Hochhausbauten aus der Zeit der großen Erschließung wurden im Hauptort in den Folgejahren weitgehend beseitigt und durch zeitgemäßere Bauten in Holz und Naturstein ersetzt, die heute das Ortsbild dominieren. Einzig die von Pierre Schnebelen erbauten Hochhäuser (1968) in La Daille lassen heute noch erahnen, daß man sich in einer der klassischen französischen Skistationen befindet.
Die 90er-Jahre begannen mit den Olympischen Spielen in Albertville 1992, bei denen Val d’Isère mit den Herren-Abfahrtsrennen Austragungsort der Königsdisziplin des alpinen Skisports war. Die alte Pendelbahn zur Bellevarde wurde hierzu im Vorfeld von zwei kuppelbaren Sesselbahnen (Poma) gedoppelt.

Die Innovationsfreudigkeit der S.T.V.I. zeigte sich dann wieder im Jahr 2002. Fast zehn Jahre nach der Eröffnung des Alpin-Express in Saas-Fee baute Doppelmayr in Val d’Isére auf Basis der alten Von Roll-Pläne eine neue Seilbahn des Typs 3S, die die alte Bellevarde-Pendelbahn endgültig in den Ruhestand schickte. Zwei Jahre später verkaufte man dieses System in Kitzbühel noch als Weltneuheit.
Neben einer der letzten MCS-Sesselbahnen von Garaventa (Laissinant Express, 2005) und der Beschneiung des Sommerskigebiets am Col de l’Iséran (ebenfalls seit 2005), die die Wiederaufnahme des Sommerskibetriebs ermöglichte, begann im Sommer 2007 der vorerst letzte Coup der S.T.V.I.: Der Bau einer kuppelbaren Sechsersesselbahn als Coproduktion von Montaval und der Schweizer Firma BMF, die damit erstmalig eine Anlage dieser Art realisiert. Die Stützen stehen bereits, Eröffnung im Winter 08/09, der Val d’Isère zudem die alpinen Skiweltmeisterschaften bringen wird.

Die Entwicklung von Tignes verlief weniger geradlinig als die seines Nachbarn, obwohl die touristische Entwicklung dort etwa zur selben Zeit begann. Schon ab den 1920er-Jahren wurde der Ort als Urlaubsziel entdeckt, sowohl im Sommer als auch im Winter. 1924 wurde eine Almhütte am (natürlichen) Lac de Tignes zur Schutzhütte umgebaut und bald auch im Winter geöffnet, und schon 1930 gab es Pläne zum Bau eines Touristenquartiers in unmittelbarer Nähe, das per Seilbahn ans Dorf angebunden werden sollte. Doch zunächst entstand 1936 ein erster Skilift am Dorfrand.
Schon zu dieser Zeit existierten erste Planungen der Société Lyonnaise des Forces Motrices du Rhône (S.L.F.M.R.), die Gorges des Boisses mit einer Staumauer zu versehen. Erste Gerüchte drangen um 1941 an die Öffentlichkeit. Sämtliche Proteste der Bevölkerung gegen die drohende Überflutung des Dorfes blieben in den Folgejahren ohne Erfolg. Unmittelbar nach der Verstaatlichung der Energieversorgung durch die Gründung der Électricité de France (EDF) 1946 wurde mit der Realisierung begonnen. Auch Sabotage und Sprengstoffanschläge konnten den Bau nicht stoppen: Am 4. Juli 1953 erfolgte im Beisein des Staatspräsidenten die feierliche Eröffnung der „Barrage du Chevril“. Das alte Dorf Tignes, neun Hotels oder Pensionen, Skischule, Skilift, Sportgeschäfte, war zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr in den Fluten des Stausees versunken. 400 Einwohner hatten ihre Heimat verloren.

Noch im selben Jahr konkretisierten sich Pläne zum Bau einer Skistation am 2100 m hoch gelegenen Lac de Tignes. Anfangs noch unter Beteiligung der EDF, sollte der vertriebenen Bevölkerung damit eine neue Existenzgrundlage geschaffen werden. Die EDF zog ihr finanzielles Engagement jedoch bald wieder zurück, und so versuchte die Gemeinde mit staatlichen Beihilfen, die den Vertriebenen grosszügig gewährt wurden, das Projekt alleine zu stemmen. Einige wenige verbliebene Einwohner gründeten noch 1953 Tignes-le-Lac, die Mehrheit jedoch zog es vor, in ihren traditionellen Berufen zu bleiben. Ein Jahr später wurde ein erster Bebauungsplan erstellt. Ziel war es, durch die Nutzung der „touristischen Ressourcen“ Höhenlage und Schneesicherheit den Fortbestand der Gemeinde zu sichern. Raymond Pantz, Architekt aus Bourg St. Maurice, entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Bauministerium das Konzept der integrierten Skistation und baute die ersten Gebäude am Lac de Tignes. Die extreme Lage erforderte fest verankerte Fundamente, die Bauten sollten nach Norden geschützt und nach Süden, wo sich die Wärme und somit das Leben konzentrierte, offen sein. Mit Rücksicht auf den Ort sei, so Pantz, vom Architekten eine extrem sachliche Gestaltung erforderlich. Auf dieser Basis entstand zunächst ein HLM-Gebäude für die ehemaligen Dorfbewohner, Touristenresidenzen folgen. 1954 entstand eine neue Strasse von Les Boisses nach Tignes-le-Lac und mit dem TK Chardonnet (der heute noch steht!) und der Télébenne des Brévières erste Lifte. Die Planer träumten bereits von einer Liftkette Les Brévières – Les Boisses – Aiguille Percée – Tignes-le-Lac – Tovière und weiter bis hinauf zur Grande Motte. Zwei Jahre später, 1956, wurde der Gipfel der Tovière mit einer 2-EUB erschlossen, die im Folgejahr durch den TK Tommeuses ergänzt wurde. Um 1960 verfügte die Station über rund 10 Lifte, bei ca. 2400 Betten.

Die ursprüngliche Betreibergesellschaft „Equipement Sportif de Tignes“ (E.S.T.) musste aufgrund finanzieller Schwierigkeiten 1960 durch eine neue Gesellschaft ersetzt werden. Aktionäre der neu gegründeten „Société des Remontées Mecaniques de Tignes“ (S.R.M.T.) sind die Gemeinde, das Département Savoyen, der Club Méditerranée sowie die alten Gesellschafter der E.S.T.
Erst rund fünf Jahre später kam es dann zur Initialzündung. Die Regierung in Paris hatte die Zeichen der Zeit erkannt und wollte mit der Verabschiedung des ersten „Plan Neige“ 1965 den Rückstand in der Erschließung von Skigebieten gegenüber den anderen Alpenländern aufholen. Vor diesem Hintergrund trat der elsässische Bauträger Pierre Schnebelen in Tignes auf den Plan. Mit seiner 1963 gegründeten SEFCO baute er die neuen Ortsteile Le Lavachet und schließlich Val Claret, als Musterstation „ski aux pieds“. Er pachtete zudem sechs bestehende Liftanlagen, die zusammen mit der neu gebauten Télécabine de la Grande Motte das Grundkapital der 1967 gegründeten Société des Télépheriques de la Grande Motte (S.T.G.M.) bildeten. Mit der 4-EUB zum Glacier de la Grande Motte hatte Schnebelen schließlich den Traum der Ersterschließer realisiert. Sie wurde schon zwei Jahre später durch eine Parallelbahn ergänzt. Interessantes Detail am Rande: Erbauer beider Anlagen war eine Firma namens Transtélé, zu dieser Zeit offenbar die gemeinsame französische Vertretung von Doppelmayr und PHB.
Die Bettenkapazität wächst auf 13.000 (1967) und 17.500 im Jahr 1972, in dem der Zusammenschluss mit Val d’Isère erfolgte. 1975 entstand schließlich die berühmte Pendelbahn auf eine eisfreie Felsnase unterhalb des Gipfels der Grande Motte, Bergstationshöhe 3456 m – bis heute der Kulminationspunkt des Skigebiets. Auch in Tignes war damit Mitte der 1970er Jahre die bis heute bestehende Erschließung erreicht.
1983 wurde die Anbindung von Les Boisses durch den Bau der Télécabine de la Sache (Skirail/Von Roll-Habegger) wesentlich verbessert. Drei Jahre später ersetzte l’Aeroski als 10-EUB (Skirail/Von Roll) die alte Bahn auf die Tovière.

Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1992 stand der Ersatz der beiden parallelen 4-EUBs an, die von Val Claret aus den Zugang zur Grande Motte herstellten. Einfache (und damit verlässliche) Technik, keine wartungsintensive Kuppeltechnik, die Möglichkeit zur Installation entsprechender Versorgungsleitungen zum Gletscher sowie die Verbesserung des Landschaftsbildes durch den Wegfall zweier oberirdischer Transportanlagen mit zusammen 60 Stützen und Mittelstation und die betriebliche Unabhängigkeit von den Wetterverhältnissen werden heute als die ausschlaggebenden Gründe für die Entscheidung zum Bau einer Tunnel-Standseilbahn genannt. Alternativ soll ein DMC geplant gewesen sein, dessen bekannte Nachteile (u.a. technisch aufwendige Synchronisierung der Seile) einige der genannten Argumente für die Tunnelbahn erst wirklich schlüssig erscheinen lassen. Vermutlich war es kein Zufall, dass fast gleichzeitig mit dem Baubeginn für die teure Anlage die Compagnie des Alpes und damit der französische Staat die Mehrheit an der S.T.G.M. übernahm.

Creissels führte wieder einmal Regie, Hochtief bohrte ab 1989 und Von Roll lieferte die Seilbahntechnik. Am 14. April 1993 ging das neue Wahrzeichen der Station, „Funiculaire Perce-Neige“ (wörtliche Bedeutung in etwa „Durchbohr-den-Schnee“, gleichzeitig franz. Übersetzung für „Schneeglöckchen“) in Betrieb, bis zu 3000 Personen konnten nun pro Stunde in jeweils sechs Minuten über die 900 Höhenmeter und 3200 m Strecke befördert werden. Die Zuggarnituren im Design eines Wurmes fassen 335 Personen und schießen mit bis zu 12 m/s durch den Berg – für Seilbahninteressierte ein einmaliges Fahrerlebnis.

Gleichzeitig mit dem Bau der Standseilbahn begann auch in Tignes das Zeitalter der kuppelbaren Sesselbahnen – die beiden 4-KSBs Les Lanches und Vanoise entstanden noch 1993. Dass man diese wie auch die folgenden sieben Exemplare allesamt in Wolfurt einkaufte, ist zumindest erwähnenswert. Wirklich bemerkenswert aber ist die Tatsache, dass Tignes heute über die stattliche Zahl von fünf Anlagen mit klassischen, blau-weißen Uni-G-Stationen verfügt, während sonst in Frankreich fast ausschließlich die mit Holz verkleidete Stationsvariante gewählt wird. Futurismus statt Dorfromantik gilt in Tignes offenbar bis heute – auch eine Art, seinen Wurzeln treu zu bleiben.

Literatur:

  • Jubiläumsbroschüre 40 Jahre S.T.G.M. (2007)
  • Hannss, Christian: Val d’Isère – Entwicklung und Probleme eines Wintersportplatzes in den französischen Nordalpen (1974)
  • Kleine-Brockhoff, Thomas: Stein & Holz schlagen Beton & Resopal. (Die Zeit Nr. 10 / 1998)

Links:

  • haute-tarentaise.net – Community zu den Skigebieten der Haute-Tarentaise, u.a. mit historischen Aufnahmen aus dem Espace Killy